NEWS | 11.11.2022
Eine etwas andere Erfahrung aus Ägypten:
Die Wüste begrünen und eine Ökonomie der Liebe leben
Christian Felber und Viola Gerlach
Anlässlich der COP27 in Ägypten, einem globalen Leuchtturm für nachhaltige Entwicklung, lud die Agrargenossenschaft Sekem, die sich eine Autostunde nordwestlich von Kairo befindet, zu einer dreifachen internationalen Veranstaltung ein: ein Sustainable Leadership Retreat in der Gemeinde, ein Solutions Summit an der Heliopolis Universität in Kairo und 10 Solutions Dialogues bei der COP in Sharm El-Sheikh. Alle drei Veranstaltungen wurden unter dem Titel „Future Economy Forum“ zusammengefasst. Sie standen unter der Schirmherrschaft des ägyptischen Umweltministeriums und fanden vom 2. bis 17. November 2022 statt. Die Mitveranstalter dieses Projekts, Helmy Abouleish, CEO von Sekem und Präsident von Demeter International, und Walter Link, NOW-Partner und Befürworter nachhaltiger Unternehmen, hatten sich zum Ziel gesetzt, führende Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, dem Finanzwesen, der Wissenschaft, von Nichtregierungsorganisationen und internationalen Organisationen zusammenzubringen.
Sekem wurde 1977 von Ibrahim Abouleish gegründet, der als Jugendlicher auf den Spuren Goethes nach Österreich auswanderte. Inspiriert von der Philosophie Rudolf Steiners kehrte er in sein Heimatland zurück, um einen Traum zu verwirklichen: die Wüste zu begrünen und zum Blühen zu bringen. Durch das Pflanzen von Bäumen, Bewässerung, Kompostwirtschaft und Humusaufbau geschah das Wunder. Heute ist Sekem eine Art Öko-Oase mit hohem Wohlfühlfaktor, die 2000 Menschen aus 13 umliegenden Dörfern Arbeit gibt. Neben fünf Unternehmen – Lotus (Rohwaren), Atos Pharma (Medizin), Isis (Lebensmittel), Nature Tex (Kleidung) und Sekem Health (Medizin) – wurden eine Schule, ein Gesundheitszentrum, ein Amphitheater und eine Universität in Kairo (Heliopolis) gegründet. Die Methode ist die biodynamische Landwirtschaft, und das Wirtschaftsmodell heißt „Ökonomie der Liebe“.
Das Retreat, die „Warm-up“-Veranstaltung der Triade, ermöglichte ein tiefes Eintauchen in die verschiedenen Elemente des beispielhaften Projekts sowie das Kennenlernen der Teilnehmer*innen, von denen viele auch an den anderen Veranstaltungen teilnahmen. Es wurden Ausflüge zu den Betrieben, den Anbaufeldern und der Kompostaufbereitung, der Schule und dem Amphitheater sowie zu einem symbolträchtigen neuen Projekt in der Weißen Wüste angeboten:
Die SEKEM Wahat Bahareya Farm regeneriert derzeit bis zu 1000 Hektar Wüste in der Region Wahat. Seit 2008 wurden 350.000 Bäume gepflanzt, das Ziel ist eine Million. Die Bewässerung ist dank des Nubischen Aquivers möglich, der größten Grundwasserreserve der Welt, die unter dem Sudan, Libyen, Tschad und Ägypten liegt. Zu den wichtigsten Anbauprodukten gehören Minze, Kamille, Ringelblume, Jojoba und Palmendatteln. Seit Projektbeginn ist die Artenvielfalt bei den Fluginsekten um 397%, bei den Vögeln um 430% und bei den Pflanzen um 667% gestiegen. Die Energie wird zu 100% aus erneuerbaren Quellen gewonnen, auch für die nächtliche Bewässerung.
In der langfristigen Strategie von Sekem ist Wahat ein zweites Beispiel für „Prototyping“ (Phase 3), dem „Visioning“ (1) und „Researching“ (2) vorausgingen. Da der erste Prototyp, Sekem, nun ausgereift ist, ist die nächste Entwicklungsstufe das „Upscaling“: Bis 2028 sollen 250.000 Landwirt*innen in ganz Ägypten auf ökologischen Landbau umstellen. Bis 2057 sollen der ökologische Landbau und die Economy of Love-Zertifizierung im ganzen Land zum Standard werden (Stufe 5: „Mainstreaming“).
Die zweite Veranstaltung war der Future Economy Solutions Summit an der Heliopolis Universität in Kairo. Ein Ziel war es, internationale Nachhaltigkeitspioniere mit der ägyptischen Geschäftswelt zusammenzubringen und neue Allianzen zu bilden. Zu den Teilnehmern zählten die Co-Präsidentin des Club of Rome, Sandrine Dixson-Declève, die Vorstandsvorsitzende des World Future Council, Alexandra Wandel, der ehemalige Triodos-CEO Peter Blom und NEF-Gründer Jean-Pierre Caron. Christian Felbers Aufgabe war es, die Gemeinwohl-Ökonomie zu vertreten und vorzustellen sowie einen Überblick über relevante alternative Wirtschafts-, Geschäfts- und Finanzmodelle und -metriken zu geben.
Das Ergebnis könnte als Grundlage für zukünftige Foren, Forschung und Allianzen dienen. Christian Felber und Viola Gerlach werden es als nächsten Schritt zum Summit der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ-Summit) im Landgut Stober am 26. November 2022 einbringen.
Mögen die Inspirationen dieser Prototypen und Veranstaltungen wirken und dazu beitragen, dass noch viele weitere Leuchttürme der ganzheitlichen Entwicklung rund um den Globus entstehen.