GWÖ-Berater Christian Niederstätter im Gespräch mit der GWÖ-Tirol

Christian Niederstätter, GWÖ-Berater

Christian Niederstätter, CWÖ-Berater

„Gemeinwohl im Gespräch“ – Teil 1: Christian Niederstätter
Berater, Projektmanager, Tennislehrer – und überzeugter GWÖ-Begleiter

In unserer neuen Interviewreihe sprechen wir mit Menschen, die sich für die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) engagieren. Den Auftakt macht Christian Niederstätter aus Österreich, der nicht nur GWÖ-Berater, sondern auch langjähriger Projektmanagementprofi ist – und leidenschaftlicher Tenniscoach. Seine Antworten sind ehrlich, persönlich und motivierend.

1. Was machst du beruflich, wenn du gerade keine GWÖ-Bilanz begleitest?

Ich bin seit 2003 selbstständig im Projektmanagement unterwegs – berate und trainiere Unternehmen dabei, ihre Projekte besser zu planen, durchzuführen und abzuschließen. Das ist ziemlich vielfältig und geht von Basics bis zur internationalen Projektzertifizierung – branchenunabhängig. Daneben unterrichte ich Tennis. Ich bin staatlich geprüfter Trainer, gebe Stunden für Erwachsene und koordiniere als Jugendwart die Arbeit mit 130 Jugendlichen. Beides zusammen ist eine tolle Mischung – Arbeit, die sich gar nicht wie Arbeit anfühlt.

2. Wann war dir klar: Ich will Unternehmen bei ihrer Gemeinwohl-Bilanz begleiten?

Das war kein plötzlicher Aha-Moment, sondern ein längerer Prozess. Ich komme ursprünglich aus dem Konzernumfeld, aus dem Controlling. Irgendwann habe ich gemerkt: Dieses ewige Wachstum um jeden Preis – das fühlt sich für mich nicht mehr stimmig an. Vor allem, wenn bei Problemen reflexartig Personal abgebaut wird. Das Thema soziale Nachhaltigkeit war oft kein Thema. Ich wollte das nicht mehr mittragen. Dann habe ich die GWÖ entdeckt und dachte: Ja, das ist genau mein Weg. Ein sinnvolles, alternatives Wirtschaftsmodell – das will ich mitgestalten.

3. Was unterscheidet GWÖ-bilanzierte Unternehmen vom Rest?

Die strahlen etwas aus. Da ist eine andere Energie. Besonders, wenn sie gerade neu bilanzieren, spürt man diesen Aufbruchsgeist. Sie haben eine klare Vision, schauen gemeinsam auf ihre Werte – und das macht richtig was mit dem Team. Und bei jenen, die das schon länger leben, spürt man vor allem: Hier wird „walk the talk“ ernst genommen. Die meinen es wirklich so, wie sie es nach außen sagen. Das ist authentisch – und das merkt man sofort.

4. Wie steht es um Re-Bilanzen? Wird das regelmäßig gemacht?

Kommt auf die Unternehmensgröße an. Kleine Betriebe sagen oft: Wir leben das sowieso – aber das Papierkram ist uns zu viel. Größere Firmen profitieren stärker davon, wenn sie regelmäßig draufschauen: Haben wir unsere Maßnahmen umgesetzt? Sind wir noch auf Kurs? Für sie ist das ein wichtiges Organisations- und Reflexionstool. Und ehrlich: Auch für Kleine wäre es wertvoll – man müsste vielleicht den Aufwand anpassen.

5. Was ist der häufigste Aha-Effekt bei einer GWÖ-Bilanz?

„Oha, das haben wir ja gar nicht auf dem Schirm gehabt!“ – höre ich oft. Zum Beispiel bei Preisgestaltung, Barrierefreiheit oder dem Umgang mit Lieferant*innen. Viele kommen mit einem guten Gefühl: „Wir machen eh schon viel.“ Und das stimmt oft. Aber das Spektrum erweitert sich, das Bewusstsein steigt – und das ist Gold wert. Es ist mehr als Photovoltaik und Obstkorb – es geht ums große Ganze.

6. Wie verändert sich der Blick auf das eigene Unternehmen?

Statt dem üblichen 180-Grad-Blick gibt’s plötzlich 360 Grad. Unternehmen merken: Es geht nicht nur um Finanzen und Umweltschutz – sondern auch um Beziehungen, Haltung, soziale Verantwortung. Für viele ist das eine Horizonterweiterung – und manchmal auch der Start für neue Geschäftsmodelle oder Partnerschaften.

7. Wie läuft so eine Bilanzierung ab – und muss man sich davor fürchten?

Keine Angst nötig. Es ist kein Audit im TÜV-Stil. Es ist ein gemeinsamer Prozess: Wir arbeiten in Workshops, reflektieren, dokumentieren – und dann kommt ein externer Auditor oder eine Auditorin, schaut sich das an, bewertet, gibt Feedback. Besonders schön finde ich die Peer-Gruppen: Wenn mehrere Unternehmen zusammen bilanzieren, entsteht echter Austausch – und oft eine richtig starke Verbindung untereinander.

8. Was kostet das Ganze?

Das hängt stark von der Unternehmensgröße und vom Format ab. Es gibt Beratungskosten (für Workshops, Begleitung) und die Auditkosten. In Peer-Gruppen wird’s natürlich günstiger – und oft sogar inspirierender.

9. Was sagen Mitarbeitende und Kund*innen nach der Bilanzierung?

Viele sind überrascht – positiv. Besonders, wenn sie mitarbeiten durften. „Das wusste ich gar nicht“, „Wir machen ja richtig viel“, „Ich bin stolz auf unseren Weg“ – solche Sätze höre ich oft. Auch die Geschäftsführung merkt manchmal: „Wow, da engagiert sich jemand, von dem ich das nie gedacht hätte.“ Es schafft Verbindung, Stolz und Motivation. Und Kund*innen? Die nehmen das wahr – und bleiben, weil sie sich mit den Werten identifizieren.

10. Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um zu bilanzieren?

Weil sich gerade alles wandelt. Arbeitswelt, Klima, Gesellschaft. Die Frage ist: Willst du nur mitlaufen – oder selbst gestalten? Mit der GWÖ bekommst du ein Werkzeug, das nicht nur Orientierung gibt, sondern auch Menschen verbindet, Potenzial hebt und Sinn schafft. Gerade als Arbeitgeber*in wirst du dadurch attraktiver – weil du Haltung zeigst.

Dein Fazit, Christian?

Du musst nicht perfekt sein. Und niemand verlangt, dass du deinen CO₂-Fußabdruck komplett im Griff hast. Was zählt, ist die Haltung: offen, ehrlich, neugierig. Die GWÖ ist kein Moralsystem – sondern eine Einladung, Wirtschaft neu zu denken. Ich begleite Menschen auf diesem Weg – und es fühlt sich gut an.

Herzlichen Dank an Christian Niederstätter für dieses Interview.