„Die wirtschaftliche Anarchie der kapitalistischen Gesellschaft, wie sie heute besteht, ist meiner Meinung nach die eigentliche Quelle des Übels.“
— Albert Einstein, 1949
10 Grundaussagen zur Gemeinwohl-Ökonomie
1. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist der Aufbruch zu einer ethischen Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle.
2. Sie setzt die Menschenwürde, die Menschenrechte und die ökologische Verantwortung als Gemeinwohlwerte auch in der Wirtschaft um.
3. Wie diese Werte im unternehmerischen Alltag gelebt werden können, zeigt die Gemeinwohl-Matrix. Sie wird laufend weiterentwickelt und soll demokratisch entschieden werden.
4. Anhand der Matrix erstellen die Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz. Im Gemeinwohl-Bericht erklären sie die Umsetzung der Gemeinwohlwerte sowie ihr Entwicklungspotential und nehmen eine Bewertung vor. Bericht und Bilanz werden extern überprüft und veröffentlicht. Damit werden die Leistungen für das Gemeinwohl bekannt gemacht.
5. Gesellschaftliche Unterstützung erfahren Gemeinwohl-Unternehmen zunächst am Markt durch Verbraucher*innen, Kooperationspartner*innen und gemeinwohl-orientierte Geldgeber*innen.
6. Als Ausgleich für überdurchschnittliche Leistungen zum Gemeinwohl sollen Gemeinwohl-Unternehmen rechtliche Vorteile bei Steuern, Krediten und öffentlichen Aufträgen sowie im internationalen Handel erhalten.
7. Unternehmensgewinne dienen der Stärkung der Unternehmen sowie der Einkommenserzielung und der Alterssicherung der Unternehmer*innen und der Beschäftigten, nicht aber der Vermögensvermehrung externer Kapitalgeber*innen. So gelangen die Unternehmer*innen zu Freiräumen für gemeinwohl-orientiertes Wirtschaften, frei vom Druck zu größtmöglicher Kapitalrendite.
8. Dadurch schwindet der Drang zum Wirtschaftswachstum. Es öffnen sich Möglichkeiten für ein erfülltes Leben bei Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. In der Arbeit können sich Wertschätzung und Fairness sowie Kreativität und Kooperation besser entfalten.
9. Mit der Begrenzung von Vermögensungleichheiten steigen die Chancen für die gleichberechtigte Teilhabe Aller am wirtschaftlichen und politischen Leben.
10. Die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung lädt dazu ein, die Verwirklichung der genannten Werte in Wirtschaft und Gesellschaft mitzugestalten. Alle Ideen für eine zukunftsfähige Wirtschaftsordnung sollen in demokratischen Prozessen entwickelt, vom Souverän entschieden und in der Verfassung verankert werden.
Häufig gestellte Fragen zur Gemeinwohl-Ökonomie
Unternehmen streben oft nach Gewinnmaximierung und konkurrieren miteinander, was dazu führen kann, dass sich nur wenige große Unternehmen auf dem Markt behaupten. Dies kann dazu führen, dass diese Unternehmen eine große Macht über Verbraucher*innen und Staaten ausüben und möglicherweise das Weltgeschehen beeinflussen. In diesem Prozess können Umwelt- und Sozialstandards durch das Streben nach Profit manchmal vernachlässigt werden.
Mehr Wachstum auf einem begrenzten Planeten ist nicht nachhaltig und kann langfristig zu einer Erschöpfung der Ressourcen führen. Kapitalismus und Kommunismus haben in der Vergangenheit Schwächen und Ungerechtigkeiten gezeigt und es besteht Bedarf an neuen Ideen und Alternativen, wie der Gemeinwohl-Ökonomie, um eine gerechtere, nachhaltigere und menschenwürdigere Gesellschaft zu schaffen.
Die Gemeinwohl-Ökonomie konzentriert sich auf das eigentliche Ziel des Wirtschaftens, nämlich die Befriedigung unserer menschlichen Bedürfnisse. Dazu gehören vor allem gelingende Beziehungen, die sowohl für das Glücklichsein als auch für ein gutes Leben für alle unerlässlich sind. Geld hingegen ist nur ein Mittel der Wirtschaftstätigkeit. Die Wirtschaftsleistung, die in Geld gemessen wird, sagt nichts darüber aus, ob das Gemeinwohl steigt oder fällt. Um zu messen, ob dieses Ziel erreicht wird, sind andere Indikatoren erforderlich.
Organisationen können ihren Beitrag zum Gemeinwohl bewerten, indem sie anhand von Indikatoren wie Menschenwürde, Solidarität, ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit, Transparenz und Mitbestimmung beurteilen, wie erfolgreich ihre Beziehungen zu Lieferant*innen, Investor*innen, Mitarbeitenden, Kund*innen und dem gesellschaftlichen Umfeld sind. Neben einer Finanzbilanz könnten sie eine Gemeinwohl-Bilanz vorlegen, in der ihr Beitrag zum Gemeinwohl in Punkten bewertet wird.
Anhand der Gemeinwohl-Bilanz können Kund*innen sehen, wie viel ein einzelnes Unternehmen zum Gemeinwohl beiträgt und dies beim Einkauf berücksichtigen.
Darüber hinaus können Organisationen, die viel für das Gemeinwohl tun, weitere Vorteile auf dem Markt haben, wie niedrigere Steuern, leichteren Zugang zu Förderungen oder Krediten oder Bevorzugung bei öffentlichen Aufträgen. Dies macht ihre Produkte nicht nur attraktiver, sondern auch kostengünstiger.
Nachhaltige, faire, demokratische und kooperative Organisationen würden im Vorteil sein. Regionale Wirtschaftskreisläufe würden in Schwung kommen. Es würden menschenwürdige Arbeitsplätze entstehen, sowie hochwertige Produkte und Dienstleistungen. Gleichzeitig würden Umweltschäden und soziale Probleme reduziert.
Im Rahmen von Fair-Trade-Abkommen erkennen Länder die Gemeinwohl-Bilanz anderer Länder an. Produkte und Dienstleistungen, die dem Gemeinwohl schaden, werden mit Zöllen belegt oder können möglicherweise gar nicht importiert werden.
Mehr als 800 Organisationen in ganz Europa und Amerika haben bereits Gemeinwohl-Bilanzen erstellt – und es werden immer mehr. Überall werden regionale Gruppen gegründet, die das Bewusstsein vor Ort schärfen und die Politik beeinflussen. Die ersten Gemeinwohl-Gemeinden und -Regionen entstehen, und durch die Vernetzung mit anderen Initiativen entwickelt sich eine immer stärkere internationale Bewegung.
Demokratische Konvente – Souveräne Demokratie
Post-Demokratie ist ein aktueller politikwissenschaftlicher Befund des Krisenzustands der Demokratie. Der Brexit und die Wahlen von Populist*innen sind Symptome, dass die Demokratie nicht so funktioniert, wie es viele wünschen. Auf der anderen Seite gibt es Signale der Hoffnung: In München hat die Bevölkerung die Stilllegung des Steinkohlekraftwerks erzwungen, in Irland bewähren sich die Citizen Assemblies und in Island wurde von einem Bürger*innen-Konvent eine People’s Constitution verfasst.
Die Gemeinwohl-Ökonomie hat das Konzept der Souveränen Demokratie entwickelt, was bedeutet, dass das letzte Wort in demokratischen Entscheidungen bei der höchsten Instanz – dem Souverän – liegen soll: bei den Bürger*innen! Die Ausgangsidee besteht aus einer Reihe von Reformen und neuen Rechten für den Souverän. Eines davon ist das Instrument des Demokratischen Konvents, in dem die Grundsatzfragen eines Politikbereichs von der Bevölkerung ausgearbeitet und abgestimmt werden.
Umsetzungskonzept für einen Demokratischen Konvent:
Ein erstes Beispiel für einen Wirtschaftskonvent ist als Anhang in der aktuellen Taschenbuch-Ausgabe von Gemeinwohl-Ökonomie von Christian Felber enthalten. Dieses kann helfen, eine Vorstellung davon zu bekommen, welche Art von Fragen gestellt werden könnten. Eine erste Übung könnte darin bestehen, das Gemeinwohl-Produkt demokratisch zusammenzustellen. Es ist eine Kernidee des Modells der Gemeinwohl-Ökonomie und besteht aus den 20 wichtigsten Elementen der Lebensqualität, einem guten Leben für alle oder – dem Gemeinwohl. Anders als die UN SDGs, der OECD Better Life Index oder Buthans Bruttonationalglück wird das Gemeinwohl-Produkt direkt von den Bürger*innen zusammengestellt. Nach dem Aussortieren der 20 meist unterstützten Unterziele aus einer unbegrenzten Anzahl von Vorschlägen müsste ein Umsetzungsausschuss 1 bis 3 Indikatoren finden, mit denen die Erreichung der Unterziele gemessen wird. Das Gemeinwohl-Produkt kann als Ganzes bewertet werden – z. B. in Gemeinwohl-Punkten – oder an jedem einzelnen seiner 20 Unterziele.
Martina Schmitt von der Universität Kassel hat auf Basis des Buches Geld: Die neuen Spielregeln von Christian Felber im Rahmen ihrer Masterarbeit 121 Besucher*innen einer Geldausstellung in der Schweiz 30 Fragen zu den Themen Design des Geldsystems, Zielvorgabe für Banken, Kreditvergabe und Geldschöpfung gestellt. In 92,6 Prozent der Fälle stimmten die Proband*innen Vorschlägen zu, die von den aktuell gültigen Beschlüssen der Parlamente abweichen. Vorgeschlagen wurden zum Beispiel eine Größengrenze für Banken, Kredite nur für reale Geschäfte, eine ethische Kreditprüfung sowie Übertragung des Geldschöpfungsmonopols auf die Zentralbanken. Der Vorschlag „Das Gemeinwohl sollte oberstes Ziel einer Bank sein“ wurde von 14 Prozent der Befragten abgelehnt, während 68 Prozent zustimmten. Hier finden Sie mögliche Fragen zu einem Geldkonvent.
In seinem Buch Ethischer Welthandel hat Christian Felber 20 mögliche Fragen zu zwölf Schlüsselthemen der internationalen Handelsordnung aufbereitet. In einer ersten Versuchsrunde über das Internet haben 150 Freiwillige über die Optionen abgestimmt. Obwohl diese Stichprobe nicht repräsentativ ist, macht das Ergebnis Mut. Wo wird der erste formal legitimierte und repräsentative Konvent stattfinden?
Literatur
Christian Felber, Deuticke, Wien 2017
zfwu Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, Heft 3, Jahrgang 20 (2019)
Daniela Ortiz, Marie Czuray, Markus Scholz, Springer Verlag, 2019