Sven Hartberger | Österreich
Jurist, Dramaturg sowie Sprecher und Referent der Gemeinwohl-Ökonomie mit Schwerpunkt Kultur
Erschienen im Oktober 2019, siehe Verlagsinfo zum Buch
Erschienen im Oktober 2023, siehe Verlagsinfo zum Buch
Erschienen im Oktober 2024, siehe Verlagsinfo zum Buch
Sven Hartberger bleibt sich treu. Mit seinem neuen Buch „Lasst Euch nicht täuschen! Ein Brief an die Letzte Generation“ wählt er wie in „Mallingers Abschied oder Vom Sinn und vom Unsinn der Arbeit“ die belletristische Form zur Aufarbeitung einer aktuellen und inzwischen massiv emotional verankerten ökologischen und ökonomischen gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Das aktuell bedeutendste und gleichzeitig umstrittenste Thema der Gesellschaft, nämlich der weltweite Klimawandel mit den drohenden Katastrophen für die menschliche Existenz, in Romanform zu bearbeiten, erfordert sowohl tief gehende Fachkenntnisse als auch schriftstellerische Professionalität. Dabei fokussiert sich die als Familienbeziehung aufgebaute Bearbeitung des Themas Klimakatastrophe auf die Handlungen der Gruppe „Letzte Generation“. Die inzwischen umstrittenen Aktionen der Aktivisten der „Letzten Generation“ werden in Hartbergers Roman in einer Weise veranschaulicht, die den Leser fesselt und das Werk bis zum Ende der Geschichte nicht mehr aus der Hand legen lässt. Dabei wird man zu Beginn der Erzählung mehr in das Hinterfragen der Aktionen der Letzten Generation geführt. Befürworter der medial so sehr Aufsehen erregenden und provokanten Handlungen werden mit Unbehagen die ersten Kapitel erleben. Die Kritiker sehen sich sicherlich zunächst in ihren ablehnenden Gefühlen zu Klebeaktionen und Sachbeschädigungen eher bestätigt. Damit erreicht der Autor, dass alle Interessierten am Thema das Buch nicht schon nach den ersten Kapiteln enttäuscht zur Seite legen, sondern neugierig auf den Fortgang der Erzählung werden.
Interessant ist die Verknüpfung der Geschichte eines lebenserfahrenen, umfassend gebildeten und gesellschafts- und wirtschaftspolitisch sehr erfolgreichen Politikberaters namens Gerd Dichter, der als Vater mit der engsten Freundin seiner Tochter Lisa und Haupt-Akteurin der „Letzten Generation“, Klara Wasser, brieflich Kontakt aufnimmt, und zwar anonymisiert als Bendus Zankler. Dabei erkennt die Brief-Empfängerin, trotz des verstörenden Inhalts, sehr schnell, wer hinter diesem Pseudonym steckt und fragt sich, warum der Vater ihrer Freundin Lisa, der sehr aktiven Mitstreiterin bei der „Letzten Generation“, diesen Weg gewählt hat. Nach und nach erkennt Klara die Motivation dieser Vorgehensweise im Hinblick der damit verbunden Familiensituation. Dies hilft ihr, die Argumente von Bendus Zankler alias Gerd Dichter zumindest zu lesen. Dabei sind seine angeblich Rat gebenden Ausführungen tatsächlich für Klara eine psychische Belastung besonderer Art. Autor Sven Hartberger gelingt es, mit geradezu provokanten Thesen und Ratschlägen, die er der Romanfigur Zankler in den Mund legt, beim Leser selbst starke Emotionen zu wecken. Beispielsweise lässt er im II. Kapitel erklären, warum die Letzte Generation in Wahrheit die Erste ist. Und die Aussage, „Wer sich im Alter von 25 Jahren noch immer auf Fahrbahnen klebt, Theatervorstellungen stört, oder……anstatt einen konstruktiven Beitrag zur Lösung von Problemen zu leiten, kann nicht ernst genommen werden.“, wird sicherlich bei nicht wenigen zunächst zustimmende Gefühle auslösen. Die Akteure der Letzten Generation werden sich hingegen für dumm verkauft fühlen, da sich nach ihrer Sicht mit den von der herrschenden Politikerschicht als konstruktiv betrachteten Beiträgen zum Klimaschutz nichts Entscheidendes bewegte. Im Gegenteil!
Dass der Autor die an Klara Wasser übermittelte Denkschrift in zahlreiche kurze, aber sinnhafte und aussagestarke Kapitel aufteilt und dabei anschließend und unmittelbar der Reflexion der Aktivistin zur massiven Kritik von Bendus Zankler Raum gibt, animiert den Leser ebenfalls zum sofortigen Nachdenken über den gerade gelesenen Abschnitt. Als Beispiel sei dabei der sicherlich aufwühlende Teil drei der Denkschrift von Zankler genannt. Hier wird die Schuldzuweisung „Warum es die Letzte Generation selbst ist, die die Verankerung des Klimaschutzes in der Verfassung verhindert, und warum das aber auch vollkommen gleichgültig ist.“, auf nur sechs Seiten, aber trotzdem umfassend verständlich dokumentiert. In dieser kurzen, aber inhaltlich umso konzentrierteren Form, führt uns der Autor durch das gesamte Spektrum der aktuellen Vorwürfe, Angriffe und auch Diffamierungen gegen die Aktivitäten der Letzten Generation. Dies zwingt den Leser nach und nach, sich selbst hinsichtlich seiner Meinung zu den Formen des Widerstands der jungen Aktivisten zu hinterfragen. Bei diesem Reflexionsprozess ist die Darstellung des ständigen Hinterfragens, des Nachdenkens, der Erkenntnisse eigener ambivalenter Handlungsweisen von Klara eine willkommene Hilfe.
Das Buch ermöglicht allen ernsthaft an einer gelingenden Zukunft der Gesamtgesellschaft Interessierten, gleichgültig ob Kritiker oder Befürworter der Aktionen der Letzten Generation, ein Nachdenken über aktuelle Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die in Kapitel XIV getroffenen Eingangs-Feststellung „Wer Veränderung will, muss im eigenen Haus beginnen“, ist nicht nur grundsätzlich richtig, sondern leitet auch den Teil mit der Dokumentation realistischer, ideologiefreier Ziele ein. Und gerade im Hinblick einer ideologie- und dogmenfreien, an echter Marktwirtschaft ausgerichteten Ökonomie, die Umwelt und Klimaschutz in den Wirtschafts- und Gesellschaftsprozess einbringt, weist der Autor auf das Wirtschaftsmodell der „Gemeinwohl-Ökonomie“ hin. Dadurch wird deutlich sichtbar, dass die durch demokratische Prozesse mögliche Umsetzung des Konstrukts der Gemeinwohl-Ökonomie die Forderungen der Letzten Generation erfüllen kann. Das aktuelle neoliberale kapitalistische Wirtschaftssystem und ein wirksamer Klimaschutz schließen sich aus. Die in den letzten Kapiteln beschriebene Annäherung der Gedanken des alten Gerd Dichter alias Bendus Zankler an die Motive der Letzten Generation unterstützen das ideologiefreie Überdenken der Aussagen in diesem gelungenen, als Roman verfassten Sachbuch.
Und ja, die Erzählung zeigt, dass die Arbeit an den Symptomen der Umwelt- und Klimazerstörung durch die Letzte Generation in der aktuellen Form wohl aussichtslos ist. Der Autor als studierter Jurist verbindet im Epilog eine Hommage an die Letzte Generation mit einer schonungslosen und juristisch exzellent fundierten Abrechnung mit den politisch Verantwortlichen und den Renditegierigen der kapitalistischen Wirtschaft, die Umwelt und Klimaschutz als massive Störung ihres Strebens nach Gewinnmaximierung betrachten. Zwar wurde von dieser aktuell herrschenden Gesellschaftsschicht mit Hilfe einer Mehrheit von Medienschaffenden die Zustimmung der Bürger für die Aktionen der Letzten Generation fast auf Null gesetzt, aber „Der Widerstand geht weiter“. Er wird sich neu formieren. Der erste Schritt ist getan, der zweite wird folgen.
Gerade mit dem Epilog beweist Autor Sven Hartberger mit klaren Worten wirklich großen persönlichen Mut zur schonungslosen Aufklärung der realen Situation in einer aktuell mehr als aufgeheizten Diskussion zum Umwelt- und Klimaschutz.
Fazit: Derzeit kenne ich kein Buch zum Thema, das in dieser Intensität und Klarheit die gesellschaftliche Auseinandersetzung zur Klimakrise aufzeigt sowie Anstöße zu einer kritischen und fairen, also zielführenden Diskussion zu den Forderungen und Aktivitäten einer umstrittenen Bewegung junger Mitbürger bietet. Eine fesselnde und lehrreiche Lektüre.
Günter Grzega
Anmerkung des Rezensenten: Aus Gründen der flüssigen Lesbarkeit wurde im gesamten Text grundsätzlich die generische maskuline Form angewandt. Alle Geschlechter sind gleichermaßen angesprochen.
Über den Rezensenten:
Günter Grzega ist Diplom-Bankbetriebswirt und Diplom-Verwaltungsbetriebswirt. Er ist emeritierter Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank München eG und Botschafter der Gemeinwohl-Ökonomie. In seiner Amtszeit hat Grzega die Sparda-Bank München mit zur größten Genossenschaftsbank Bayerns geführt. Von 2010 bis 2015 war er Vorstandsvorsitzender des Senatsinstituts für gemeinwohlorientierte Politik (IGP). Seit 2019 ist er Dozent an der Akademie für Gemeinwohl in Wien. Er ist zudem Mitherausgeber des wirtschaftspolitischen Magazins MAKROSKOP.
Mit „Mallingers Abschied oder Vom Sinn und vom Unsinn der Arbeit“ veranschaulicht der Autor Sven Hartberger ökonomische Aspekte von Arbeit in Romanform. Ein Psychotherapeut als Ich-Erzähler reflektiert dabei verschiedene Fälle aus seiner Praxis, die in unterschiedlicher Weise die psychischen Probleme von Klienten durch die neoliberale Ausrichtung der Arbeitswelt auf Gewinnmaximierung dokumentieren. Diese Fallerzählungen regen zum kritischen Nachdenken an, und zwar auch über persönliche Narrative. Hier einige Anmerkungen aus ökonomischer Sicht.
Für die politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzung zur immer dringlicher werdenden Frage nach generellen und umfassenden Arbeitszeitverkürzungen kann für Interessierte die Verbindung von Belletristik und Fachliteratur, also mit den realen wirtschaftswissenschaftlichen Quellen zum Thema „Arbeitszeit und Gemeinwohl“, faszinierend sein. Hier gelingt es dem Autor, in der romanhaften Erzählung über den Tod des Ökonomen Dr. Mallinger die Modelle der konkurrierenden Ökonomielehren (Keynesianismus, Neoklassik, Neoliberalismus) perfekt einzubinden. Dabei werden die Leser auch über die manipulative Verwendung von Zitaten bedeutender Ökonomen aufgeklärt, z. B. die Metapher über die unsichtbare Hand von Adam Smith (Begründer der National-Ökonomie). Smith verwendete die Metapher für mikroökonomische Gegebenheiten. Diese wird aktuell aber von nicht wenigen neoklassischen bzw. neoliberalen Wirtschaftswissenschaftlern als fast schon religiös verbrämte Begründung eines von staatlichen Eingriffen bzw. staatlicher Steuerung freien, sich selbst regulierenden Marktes auf makroökonomischer Ebene, zum Vorteil der obersten Gesellschaftsschichten missbraucht.
Von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der dringenden Notwendigkeit einer umfänglichen Arbeitszeitverkürzung sind die Hinweise des Erzählers auf die wirtschaftswissenschaftlichen Begründungen der Sinnhaftigkeit dieser Forderung. Es dürfte wohl bei nicht wenigen bereits in Vergessenheit geraten sein, dass der weltweit geschätzte Ökonom John Maynard Keynes vor fast hundert Jahren, und zwar im Jahre 1930, die Möglichkeit einer Arbeitszeitverkürzung auf 15 Wochenstunden aufzeigte. Seine Prognose zur Umsetzung beruhte auf der Erkenntnis der Produktivitätssteigerungen durch technischen Fortschritt. Keynes‘ Norm-Arbeitszeit von 15 Stunden bezog er ja auf das Jahr 2030. In einem gemeinwohlorientierten Wirtschaftssystem wäre diese Prognose längst Realität. Hier zeigt der Autor durch Mallingers Situations-Analyse die zerstörerische Ideologie einer kleinen Gruppe von Ökonomen in der von Friedrich August von Hayek im Jahr 1947 gegründeten Mont Pèlerin Society als wichtige Ursache auf. Diese Ideologie der finanziellen und gesellschaftspolitischen Herrschaft von wenigen, setzte sich vor allem in den letzten vier Jahrzehnten durch. Sie bewirkt, dass zwar der durch Arbeit von vielen geschaffene „Kuchen“ riesig wurde und auch weiter wächst, aber die Verteilung auf nur Wenige die Regel ist. Der Feststellung im „Räsonnement des Doktor Mallinger“, dass neue Erfindungen buchstäblich für alles eingesetzt wurden, nur nicht dafür, Menschen von der Arbeit zu entlasten, kann man kaum widersprechen. Mallingers Fazit: Ohne Überwindung dieses Systems wird es weder umfassende Verkürzungen der Wochenarbeitsstunden noch eine gelingende Zukunft der Gesellschaft geben. Dass dabei auch die vom Ich-Erzähler bereits genannten ökologischen negativen Folgen von Arbeit im aktuellen Wirtschaftsmodell eine wichtige Rolle spielen, unterstreicht die dringende Notwendigkeit der Gesamtbewertung von Arbeit. Interessant ist dabei auch die Feststellung, dass der vor allem in Kunst und Kultur beheimatete Autor die negativen Auswirkungen der Profit-Maximierung und der rein monetären Bewertung von Erfolg in diesem Bereich autobiografisch authentisch im Roman verarbeitete. Damit unterstreicht er die realen Gegebenheiten eines kulturellen Niedergangs im System der neoliberalen Ideologie.
Kritisch kann man die zustimmenden Einlassungen zum sog. Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) bewerten. Zwar befürworteten bei einer Umfrage der Bertelsmann-Gesellschaft rund 88 Prozent der Bevölkerung in Deutschland eine neue Wirtschaftsordnung statt Neoliberalismus, aber die Zustimmung zu einem BGE wird wohl aktuell eher im einstelligen Bereich zu erreichen sein. Deshalb könnten kritisch eingestellte Sachbuch-Leser diese Einlassung eher als „Wunschkonzert“ und nicht als wirtschaftswissenschaftlich fundierte Forderung einstufen.
Im letzten Teil des Buches scheut sich der Autor nicht, im virtuos verfassten „Abschied des Doktor Mallinger“ das Menschenrecht auf Eigentum zu relativieren. In der aktuellen Form verletzt es immer wieder auch das Recht auf Leben. Deshalb muss das dominierende Eigentumsrecht revidiert und auch eine Begrenzung des Eigentums diskutiert werden.
Eine mögliche konstruktive und zukunftssichernde Lösung sieht der Ich-Erzähler im derzeit umfassend diskutierten Wirtschaftsmodell „Gemeinwohl-Ökonomie“. Und unbestreitbar ermöglicht dieses Modell, ein für eine gelingende Zukunft sinnvoll gestaltetes Arbeitsvolumen umzusetzen. Dass der Erzähler dabei im Epilog auch die Einbindung der Konzepte und Modelle von Wissenschaftlern, z. B. von Kate Raworth, Silke Helfrich, Thomas Piketty und Amartya Sen, fordert, unterstreicht die Offenheit für einen umfassenden Diskurs über die besten Lösungswege. Diese Offenheit bietet das demokratisch verfasste Modell der Gemeinwohl-Ökonomie.
Wertvoll für alle an einer Vertiefung der Kenntnisse in wirtschaftswissenschaftlichen Themen Interessierte sind auch die textlich verarbeiteten Literaturhinweise auf den ersten beiden Seiten des Epilogs.
Mein Fazit:
Für passionierte Fachliteratur-Leser ist die Einbindung fundierter wirtschaftswissenschaftlicher Aussagen in einen Roman sicherlich gewöhnungsbedürftig. Absolut ein Gewinn sind die fachlichen Ausführungen jedoch für alle Leser, also auch für die hoffentlich ebenso zahlreichen passionierten Anhänger der Belletristik, da ökonomische Zusammenhänge in diesem Roman über die Erzählform umfassend erklärt werden. Für eine Belletristik-Beurteilung zu „Mallingers Abschied“ fehlt mir jedoch die literarische Kompetenz. Zusammenfassend wage ich trotzdem eine Aussage: Ein absolut lesenswertes Buch!
Anmerkung des Rezensenten: Aus Gründen der flüssigen Lesbarkeit wurde im gesamten Text grundsätzlich die maskuline Form angewandt. Alle Geschlechter sind jedoch gleichermaßen angesprochen.
Über den Rezensenten:
Günter Grzega ist Diplom-Bankbetriebswirt und Diplom-Verwaltungsbetriebswirt. Er ist emeritierter Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank München eG und Botschafter der Gemeinwohl-Ökonomie. In seiner Amtszeit hat Grzega die Sparda-Bank München mit zur größten Genossenschaftsbank Bayerns geführt. Von 2010 bis 2015 war er Vorstandsvorsitzender des Senatsinstituts für gemeinwohlorientierte Politik (IGP). Seit 2019 ist er Dozent an der Akademie für Gemeinwohl in Wien. Er ist zudem Mitherausgeber des wirtschaftspolitischen Magazins MAKROSKOP.



